Begonnen hat es im Herbst 2011, als sich etwa 50 Menschen im Bosco trafen, weil sie sich von Hans Georg Krauses und Bettina Fritsches Angebot angezogen fühlten. Gemeinsam schauten wir den Film “Kontakthof” von Pina Bausch an. Das war der Beginn einer wundervollen gemeinsamen Zeit. Der “Erste Streich” war ein “Wir-zeigen-uns”. Der “Dritte Streich” ist die N° 3
Die Überschrift der Nach(t)kritik von Thomas Lochte : “Bewegtes Leben 2068 – fulminante Ü 60-Hommage an Pina Bausch”
Vor genau vier Jahren starb Pina Bausch, doch das von ihr entfachte Feuer des Tanztheaters lebt fort – es ermutigt die Menschen auch weiterhin, sich auch auf einer Bühne so zu zeigen, wie sie sind. In diesem ebenso unsentimentalen wie lebensbejahenden Geist haben sich Menschen zwischen 60 und 75 an ein in jeder Hinsicht bewegendes Projekt gewagt: “Bewegtes Leben 2068” ist nicht nur die szenisch gebündelte Summe der Lebensjahre der Beteiligten, sondern eine virtuose Collage des Menschseins, wie sie das “bosco” wohl noch nicht gesehen hat. “Manchmal haben wir das Gefühl gehabt, der Weg ist der Weg, und manchmal auch: der Weg ist weg”, beschreibt Choreographin Bettina Fritsche die vergangenen neun Monate des Probens und des Zweifelns. Die ungewöhnliche Idee, in Gauting ein Tanztheater-Projekt für ältere Menschen auf die Bühne zu bringen, gehe auf Hans-Georg Krause zurück, erzählt Fritsche. Sie hat es dann ausschließlich mit reinen Amateuren zu tun bekommen – anfangs 38 Mutige, von denen nach 88 Stunden des montäglichen Probens bis zur Aufführung gut 30 am Ball geblieben sind. Pate gestanden und in einigen optischen Zitaten aufbltizend war u.a. Pina Bauschs legendärer “Kontakthof”-Zyklus, der binnen zweier Jahrzehnte mehrere verschiedene Inszenierungen und eine Verfilmung hervor brachte: Bauschs seinerzeit revolutionäre Methode, herkömmliche Handlungsabläufe des Theaters aufzulösen und die einzelnen Elemente assoziativ in verblüffende neue Zusammenhänge zu stellen – sie funktionierte auch hier vortrefflich. Das Spiel mit dem Bild der Gruppe und den immer wieder daraus hervortretenden, ja ausscherenden Individuen, die von den Akteuren selbst bestimmte Akzentuierung ihres Auftretens und die spannende Interaktion all dieser Persönlichkeiten – Bettina Fritsche ist es gelungen, das “freie Agieren” und die unverkennbare Freude all dieser Menschen zu einem energiegeladenen Ganzen zu bündeln. Aus einer Art “Casting” zu Menuett-Klängen wird so in voller Gruppendynamik (etwa 30 Frauen, nur zwei Männer!) eine Prüfung auf Herz und Nieren, die sogar bis zu Beinkleid und Herren-Socke reicht; im nächsten Augenblick wird das Ensemble zu paarweise streitenden Kriegern oder zu einem wogenden Meer, das sich schließlich zurückzieht und “Strandgut” zurück lässt – jeder ist jederzeit dazu aufgefordert, sich in solchen strukturierten Szenen zu “zeigen” – solo oder in der Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, in Mimik, Gestus, Bewegung.
Die Ausdrucksbreite ist schier unbegrenzt, Ordnung fügt sich und löst sich sogleich wieder auf, Senioren und Sportler werden mühelos eins, Überraschung triumphiert über Form und Erwartung. Die Gruppe ist der Spiegel des Einzelnen, doch die Einzelnen bedingen erst die Gruppe – ein stetes Wechselspiel zwischen Uniformität und Ego, großartig verdichtet in einer Allegorie kollektiven Leids: Der Mensch sinkt zum Sterben hernieder, und über allen Häuptern kehrt eine nur von einem kleinen Mädchen sachte durchschrittene Stille ein – bis das Leben von Neuem erwacht, vielfältig, farbig und unbeugsam. “Manchmal mussten die MItwirkenden schon Persönliches preisgeben”, hatte Fritsche verraten. Als Zuschauer konnte man das Aufblühen ihrer Helden bei diesem einzigartigen Geschehen geradezu spüren – dass es in einer bunten Hommage an “Cabaret” mündete, war da nur das logische i-Tüpfelchen eines Abends, der auch der großen Pina Bausch gefallen hätte: Gezeigt wurde der Mensch in seinem unvollkomme-nen Menschsein, mit Stärken und Schwächen – keine Inszenierung, bewegtes Leben eben. Pina Bauschs Geist lebt ebenfalls – in Gauting ist er halt “Ü 60”, na und?
Seither ist viel Wasser die Würm runtergeflossen. Wir sind uns näher gekommen, haben viel Spass miteinander und sind auch durch tiefe Erfahrungen gegangen. Wir waren und sind Akteure, weil wir nicht auf den Publikumsstühlen im Bosco saßen, sondern auf der Bühne standen, rollten, tanzten und lagen. Wir sind zwischen 62 und 75 Jahre alt und zeigen eher nebenbei, wie lebendig wir uns fühlen. Es ist persönlich zutiefst erfüllend. Und es leuchtet ein Zukunftspotenzial auf. Was, wenn viel mehr Menschen gemeinsam, kreativ und inspirierend alt werden – nicht nur in Gauting?
www.lebenswendezeiten.de
Humandesignsystem Analytiker/Lehrer (IHDS-Ausbildung), Genekeys Guide, Integral Life Consultant, 33 Jahre lang als Gymnasiallehrerin tätig gewesen. Engagierte Kommunikationstrainerin (gewaltfreie Kommunikation nach M.Rosenberg)